Macht das Wirtschaftswachstum Kinder arm?

Unglaublich, aber wahr: die Kinderarmut in Deutschland nimmt zu – vor allem in Westdeutschland. Statt darüber zu jammern, sollten wir uns aber lieber über das Wirtschaftswachstum freuen, das mit 1,7 Prozent zwar nicht opulent, immerhin aber ansehnlich ausfällt. Die Reallöhne und die Beschäftigung sind gestiegen, die Binnennachfrage ist hoch und die Arbeitslosigkeit war im wieder vereinten Deutschland noch nie geringer. Moment – wenn es uns immer besser geht, warum geht es den Kindern im Land dann immer schlechter? Oder geht es den Kindern deshalb schlechter, weil es uns immer besser geht? So seltsam das klingen mag, aber von der Hand zu weisen, ist es nicht.

 

Schauen wir uns doch die Situation genauer an. Allerdings brechen wir die Thematik auf das Nötigste herunter. Wie also funktioniert das Wirtschaftswachstum, ohne, dass tatsächlich etwas wächst?

 

Die Betriebe in Deutschland, die hier auch ihre Steuern zahlen und tatsächlich etwas leisten oder herstellen, sind mittlerweile die Dummen. Sie zahlen hohe Lohnnebenkosten, wenn es ganz dumm läuft auch noch Tariflöhne und beschäftigen ihre Arbeitnehmer seit vielen Jahren. Also mit steigenden Löhnen, längeren Urlaubszeiten usw. Das ist moralisch einwandfrei, wirtschaftlich aber Schwachsinn. Besser geht es den Betrieben, die komplexe Vorgänge in andere Betriebe auslagern und ihre tatsächliche Arbeit, die von Menschen verrichtet wird, auf einfache Vorgänge beschränken. Der Vorteil liegt auf der Hand: Einfache Tätigkeiten brauchen keine Fachkräfte. Sie können von Ungelernten ausgeübt werden. Und diese Arbeitssklaven stellt man schließlich nicht selbst an, sondern holt sie sich über Personaldienstleister.

 

Große Betriebe bedienen sich an Zeit- und Leiharbeitern oder gründen sogar eine eigene Personaldienstleistungs-Firma. Das ist wesentlich billiger. Wenn man dann noch schlauer ist, holt man sich Langzeitarbeitslose und/oder Aufstocker aus Hartz IV. Die Jobcenter freuen sich, wenn die „Schmarotzer“ aus der Statistik herausfallen und der Arbeitgeber freut sich über Lohnzuschüsse bis zu 50 Prozent. Sechs Monate lang muss der Arbeitgeber keinen Mindestlohn bezahlen. Aber länger als sechs Monate arbeitet in solchen Betrieben kaum jemand. Denn dann holt man sich lieber wieder einen Neuen. Natürlich wieder aus der Langzeitarbeitslosigkeit, wieder ohne Mindestlohn und wieder mit Lohnzuschüssen. Gewinnmaximierung ist letztlich eine Art von Kostenkonstanz.

 

Wir müssen uns also nicht fragen, warum die Kinderarmut immer größer wird, wenn die Eltern keine Arbeit mehr haben, die genug Geld abwirft, um eine Familie zu ernähren. Gerade im Westen Deutschlands nimmt die Kinderarmut zu. Das mag dann wohl daran liegen, dass es dort noch mehr „gesunde“ Betriebe gibt, die das Prinzip der Gewinnmaximierung mittels Personaldienstleister kapiert haben.

 

Der Arbeitnehmer, der normales, lebenswürdiges Geld verdient, braucht sich über seine hohen Abgaben an Vater Staat also nicht wundern. Denn aus seinem Geld werden auch Lohnzuschüsse an Unternehmen gezahlt, die ebenfalls bezuschusste Billig-Arbeitskräfte beschäftigen. Die Arbeitnehmer verdienen so wenig, dass sie – wieder vom Steuerzahler bezahlt – aufstocken müssen und deren Familie, also auch die Kinder, SGB II-Leistungen beziehen müssen. Ein sehr ausgeklügeltes System, bei dem jeder gewinnt. Das Wachstum wächst, der Binnenmarkt auch, die Arbeitslosigkeit wird offiziell klein gerechnet. Die Politiker können den Merkel’schen Chor anstimmen: Deutschland geht es gut. Das ist ein Grund zur Freude. Dass Deutschlands Kinder immer seltener in das Lied einstimmen, wundert nicht. Schon bald werden die Kinderstimmen ganz verstummen. Und irgendwann wird es jemanden geben, dem auffällt, dass dieses System eine Art Rassenhygiene, wie bei den Nazis ist. Diesmal ist nicht die Tabellenspitze das Ziel, sondern der Abstieg.

 

Gewollt, geduldet, gebilligt, zum Wohle der Wirtschaft. Doch dann wird eines Tages auch der Wirtschaft auffallen, dass Waren und Dienstleistungen nur dann Gewinne abwerfen können, wenn es noch jemanden gibt, der sie sich leisten kann. Und solange diese Einsicht ausbleibt, heißt es „ausbeuten, was rauszuholen ist“.

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